Unten

Das Licht wird automatisch eingeschaltet, nachdem die Kapsel den Meeresboden berührt.

„Guten Morgen!“ Emilia trillert wie bei einem Schulausflug.

„Bitte noch liegen bleiben! Die Station wird sich noch selbstständig justieren.“ Einer der Zwillinge belehrt großzügig alle Anwesenden. Ihre Stimmen klingen ähnlich. Marvin kann sie noch nicht zuordnen.

„Man wird ja wohl noch den neuen Tag begrüßen dürfen.“ Emilia hat protestierend das letzte Wort.

Die Kapsel bewegt sich wie ein schwankendes Schiff oder eher wie ein stampfendes Kreuzfahrtschiff. Es knarrt und quietscht, bevor wenige Minuten später plötzlich Ruhe ist.

„Haben wir es jetzt?“ Emilia bricht wieder als erste das Schweigen.

„Ja.“ Marvin steigt aus seiner Koje. „Treffen im Center.“

„Das wäre wo genau?“ Emilia hat deutliche Orientierungsschwierigkeiten.

„Das ist dort, wo die Kapsel, den höchsten Punkt hat. Und alle können dort auch stehen.“

„Okay.“ Es scheppert aus der Koje von Emilia.

„Folge einfach unseren Stimmen.“ Marvin klingt genervt. „So viele Möglichkeiten gibt es hier ja auch nicht.“

Peter und Frank haben das Steuerungstablet aus der Halterung genommen und überprüfen den Zustand der Kapsel. Marvin bewegt sich mit nach hinten verschränkten Armen um das Bullauge an der Decke am Center. „Ja, wir sind unten. Toll! Jetzt müssen wir nur noch die Betriebsbereitschaft herstellen.“

Peter winkt trocken ab. „Nur keine Hektik. Erstmal möchte ich gern wissen, ob alles läuft.“

„Ja, aber die Datenmodule können wir doch schon mal auf den Weg bringen.“ Marvin läßt sich nicht so schnell in die Ecke schieben.

„Die sind schon unten.“ Peter öffnet ein anderes Programm auf dem Tablet. „Ich habe sie alle.“ 

„Er meint damit, die Module haben sich angemeldet, weil sie auch unten sind.“ Marvin erklärt dies Emilia, die versucht, den Gesprächen zu folgen.

„Haben wir auch schon Zugriff auf die Außenkameras? Vielleicht hat man ja unsere Landung schon wahrgenommen.“

Peter brüllt lachend auf. „Wer? Die Außerirdischen?“

Emilia bleibt ernst. „Nein, aber die Meeresbewohner hier sind sicher neugierig.“ Sie wendet sich an Marvin. „Wie kann ich Zugriff bekommen?“

Marvin lächelt verschmitzt und zieht ein weiteres Tablet aus seinem Gepäck. „Der Projektleiter behält sich das Recht vor, immer eingreifen zu können.“. Er legt seine Hand neben seinen Mund. Er flüstert: „Willkommen in der Projektleitung.“. Ein kleines Lächeln zieht über sein Gesicht. Er wirft verstohlen einen Blick auf die beschäftigten Zwillingen.  Mal sehen, wie es weiter läuft.

Emilia nimmt das Gerät. „Ich verspreche auch, nichts kaputt zu machen.“ Sie hockt sich an die Kapselwand und schaltet alle Kameras durch. Sie verweilt auf jedem Bild,  filmt oder fotografiert, wenn sie etwas interessantes gefunden hat.

„Schon was gefunden?“ Marvin fühlt sich gerade nicht gebraucht. Vielleicht ist das der beste Zeitpunkt für ein wenig Annäherung.

„Wir haben viele aufgescheucht. Aber mehr als einen Seeigel konnte ich nicht ausmachen.“

„Das ist sicher weniger, als du erwartet hast, oder?“ Marvin hofft, dass Emilia nicht zu traurig ist.

„Egal.“ Emilia schließt das Tablet. „Wir haben sicher hier auch einiges zu tun, oder?“

Marvin besinnt sich kurz. „Ja, klar. Wir müssen planen, z.B wer hat wann die Aufsicht? Wer schläft wann? Wann gibt es was zu essen?“

„Ich bin perfekt in Planung. Was kann ich tun?“ Emilia hat das Tablet wieder eingeschaltet.

„Wir sind soweit.“ Frank unterbricht und dreht sich zu Marvin und Emilia um.

„Na dann.“ Marvin steht auf. „Du fängst schon mal an, Emilia?“

„Yes, Sir.“

Peter hält inne, schaut zu Emilia und dann zu Marvin. „Womit fängt sie an?“ Er schaut gereizt zu Marvin. 

„Mit dem, was sie gut kann.“ Es muss nicht über alles geredet werden.

„Hör mal, Marvin. Wir hatten doch gesagt, hier unten übernehmen wir das Ruder? Ihr beide setzt euch irgendwo hin und könnt gern alles weitere planen. Aber erstmal planen wir.“ Peter stützt seine Fäuste in die Seite. 

Marvin schaut freundlich. „Was spricht dagegen, bei alltäglichen Dingen zu helfen? Wir können es doch probieren?“

„Kommt nicht in Frage!“ Peter dreht sich zu Frank und schließt damit die Diskussion einfach ab. „Wir beginnen jetzt die Datencenter anzudocken.“ Dann wendet er sich wieder Marvin zu. „Das haben wir schon ohne dich gemacht. Und diese Emilia brauchen wir dazu auch nicht.“

„Ich höre euch“, ruft Emilia. „Ich muss es aber lernen.“ Sie hat die Planung beiseite gelegt und steht einsatzbereit neben den beiden. Scheinbar macht es ihr nichts aus, dass Peter so über sie spricht

Peter stöhnt. „Na super.“

„Das wird schon.“ Marvin weiß, Peter ist gut in dem, was er tut. Er wird es Emilia schon richtig zeigen. Marvin ist da zuversichtlich. Seine Reaktionen sind trotzdem schon eigenartig. 

„Frank, behältst du Emilia im Auge?“, sichert sich Marvin ab. 

Frank schaut auf, sieht zu Emilia und nickt. Während Peter die Steuerung des ersten Datencenters übernimmt, liegt Frank im dazugehörigen Wartungstunnel. Emilia legt sich dahinter und beobachtet genau, was Frank da tut. Dieser Tunnel bietet später die Möglichkeit, direkt in die Datencenter einzusteigen, wenn Reparaturen notwendig wären. Allerdings muss man kriechen, da die Hauptkapsel hier sehr niedrig ist. Außerdem sind mögliche Reparaturen äußerst unwahrscheinlich: die Datencenter sind paarweise angeordnet und bilden damit auch das gegenseitige Backup. Fällt eines aus, übernimmt das andere die Jobs. Und falls die Reparatur zu schwierig ist, wird es wieder abgekoppelt, bläst die Rettungsreifen auf, treibt zur Oberfläche und wird dann dort durch ein Schiff der Company eingesammelt. Ersatz wird dann wieder runtergelassen. Fertig! Frank erklärt das alles nebenbei der neugierigen Emilia. 

„Einfach und teuer.“ Emilia ist fasziniert davon, wie stark hier alles organisiert ist. 

„Ja. Gott sei dank ist das noch kein Thema. Die Kunden bezahlen diesen Komfort.“

„Und wann müsst ihr in diesen Tunnel?“

„Hoffentlich nicht so oft.“ Frank ist zurück gerutscht und setzt sich hin. „Die Systeme melden sämtliche Fehler. Und wenn diese zu überbrücken sind, entscheidet die Kiste ganz allein.“ Er zeigt in den noch verschlossenen Tunnel. „Wenn nichts mehr geht, können wir mit einer Kamera und einem Roboterarm probieren. Der letze Schritt ist dann der Tunnel.“

„Das ist dann der vorletzte Schritt. Der letzte Schritt ist dann der Abtransport, oder?“ Emilia lächelt Frank vorsichtig an. 

„Richtig… ja“, lacht Frank. 

Peter ruft: „Ich bin soweit.“ 

„Ja. Ich versuche, die Verbindung herzustellen.” Frank hat optische Sensoren, die ihm genau verraten, ob die Fortsetzung des Tunnels optimal steht. 

“Schau.” Er tippt Emilia an und verweist auf eine Diodenreihe an der Tür. “Links sind rote, in der Mitte gelbe und dann die grünen. Rot ist betriebsbereit, gelb, wenn nicht abzudichten, aber jeder grüne steht für eine mehr zuverlässige Verbindung.”

„Das sind drei grüne …“

„Ja, genau. Wenn alle leuchten sind wir echt ‚safe‘.“

Emilia will es aber genau wissen. „Und bei einer oder zwei Lampen?“

Peter atmet genervt. „Dann besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass etwas passieren könnte.“

„Was?“

„Nein, nein, es zeigt nur, dass es Sensoren gibt, die nicht gepaart wurden, also nicht übereinstimmen. Das können auch Verunreinigungen oder so sein.“

Emila schnalzt begeistert. „Nicht schlecht. Du kennst dich aus, Peter.“

Peter lächelt kurz. „Wie gesagt. Wir sind hier unten die Entscheider. Da sollte man sich auch auskennen, oder?“

Emilia antwortet nicht, sondern zieht nur die Lippen nach außen.

Marvin kommt dazu. „Peter kann einiges. Er beherrscht hier die ganze Station.“

Peter klopf Marvin anerkennend auf die Schulter. “Das habe ich dem Experten hier zu verdanken. Von dir habe ich echt einiges gelernt.”

Marvin nickt schmunzelnd. “Gut. Dann bleibe mal schön am Ball.” Zu Emilia sagt er: “Man lernt nämlich nie aus.”

Da sich Marvin wieder ein wenig wegdreht, stellt sich auch Emilia zu ihm und damit ein paar Schritte weiter weg von Peter. “Wie meinst du das?”

Marvin hat nicht damit gerechnet, dass Emilia weiter nachhakt. Er schaut überrascht zu ihr. “So allgemein. Es gibt am Anfang immer eine theoretische Meinung zu allem. Aber die Praxis wird manches davon widerlegen und dann muss man umdenken.”

“Glaubst du, dass es Dinge gibt, die man bei diesem Projekt nicht vorhergesehen hat?”

Marvin schaut Emilia für einen längeren Augenblick in die Augen. Dann lächelt er. “Du bist ja echt witzig, Emilia Wetson. Wenn noch nichts passiert ist, kann ich ja wohl kaum JA oder NEIN sage, oder?”

“Das ist mir schon klar”, kontert Emilia sehr ernst. “Aber du persönlich wirst doch ein Gefühl haben, ob es einen Faktor gibt, der unsicher sein könnte.”

Marvin atmet und schaut dann wieder. “Nein.” Dann atmet er wieder sehr tief. “Ich weiß nicht, ob der Sauerstoffgehalt noch nicht ganz optimal eingestellt ist oder woran es liegt, aber ich kann solche Fragen jetzt nicht beantworten. Vielleicht brauchen wir ein bisschen Ruhe, bevor wir weiter durchstarten. Frühstück wäre jetzt auch perfekt. Oder was meint ihr, Jungs?” Er ruft den letzten Satz fragend in den Raum. Von dort bekommt er jubelnd Zustimmung.

Emilia findet das Ende des Gespräches nicht so berauschend und hat sich das ein wenig anders vorgestellt. Aber sie verspürt auch ein flaues Gefühl im Bauch und analysiert es jetzt als Appetit. Sie fragt Marvin: “Kann ich helfen? Mein Frühstück ist immer unnacharmlich.”

Marvin ist begeistert. “Herzlich gerne. Wir müssen zwar viel improvisieren, aber Hauptsache ist doch, wir bekommen etwas in den Magen.”

Peter erwärmt sich an dem Gedanken, dass es bald etwas zu essen geben könnte und hilft in der kleinen Bord-Küche. “Wir haben ja nun auch die Sicherheit hier unten hergestellt, so dass wir in die Tagesroutine übergehen können.”

Dass das Leben hier unten absolut noch keine Routine ist, wird die Besatzung bald merken.

***